Niederwald

Typisches Kennzeichen des Niederwaldes ist der Stockauschlag, bei dem mehre Stämme hochwachsen und kein eindeutiger Leittrieb erkennbar ist. Foto: Norbert Frank/bugwood.org.

Am Waldboden ist kein Grün zu erkennen. Dicht an dicht stehen knorrige Bäume mit schlangenförmigen Ästen, die in den Himmel ragen. Was an die Szenerie eines Horrorfilms erinnert, ist in Wirklichkeit eine mittlerweile fast vergessene Waldnutzungsform: der Niederwald. War diese Form der Waldbewirtschaftung bis in die 1950er-Jahre weit verbreitet, ist sie heute kaum noch anzutreffen. Das aktuelle EU-Programm fördert sogar den Umbau der letzten bestehenden Niederwälder. Der Niederwald diente jahrhundertelang der Brennholzproduktion. In sehr kurzen Umtriebszeiten, die nur zwischen zehn bis 20 Jahre dauern, werden die Stämme gefällt und als Brennholz genutzt. Ein wesentliches Kennzeichen des Niederwaldes ist die Nutzung des Stockausschlages. Der Baum vermehrt sich vegetativ. Dabei handelt es sich um eine ungeschlechtliche

Fortpflanzung, bei der der neue Organismus seinen Ausgang aus Teilstücken eines alten nimmt. Am Stock der gefällten Bäume bilden sich neue Triebe. Diese wachsen nebeneinander und miteinander. So bekommt der Niederwald sein unverwechselbares Aussehen. Im Niederwaldbetrieb ist es also nicht notwendig, die Verjüngung gesondert zu fördern. Der Wald wächst bald nach der Schlägerung von selbst nach. Vorausgesetzt natürlich, es handelt sich um ausschlagsfähige Baumarten.

 Nicht alle Baumarten sind zum Stockausschlag fähig. Von den heimischen Nadelbäumen ist nur die Eibe dazu in der Lage. Bei den Laubbäumen ist der Stockausschlag häufiger anzutreffen, wenn auch in unterschiedlicher Stärke. Die Liste ist lang: Buche, Robinie, Pappel, Eiche, Feldahorn, Kastanie, Esche und Linde können sich auf diese Art vermehren. Am stärken ausgeprägt ist der Stockausschlag aber bei der Hainbuche. Sie ist die typische Baumart im Niederwaldbetrieb. Das hängt nicht nur mit der Fähigkeit zum Stockausschlag zusammen: Die Hainbuche verträgt Schatten auch im Alter gut, zudem ist das Holz sehr dicht und eignet sich gut als Brennholz. Sie kommt vor allem in Tieflagen vor, in Höhen über 1.000 Metern ist sie nur selten anzutreffen. Die Hainbuche bildet sowohl Mischbestände mit der Eiche als auch mit der Buche. Im Eichen-Hainbuchenwald ist sie die dienende Baumart: Ihr dichtes Blätterdach beschattet die Stämme der Eichen und sorgt dafür, dass sich keine Triebe entwickeln und das Eichenholz entwerten. Im Buchenwald kommt sie als Pionierbaumart vor, sie kann aber nicht mit der Buche konkurrieren und verbleibt in der Unterschicht. Optimale Wuchsbedingungen findet die Hainbuche auf frischen, nährstoffreichen, lockeren Böden. Sie kommt aber auch mit trockenen Sandböden und Frost zurecht. Die stärksten Hainbuchen wachsen in Auwäldern. In der Forstwirtschaft kommt sie nur als Mischbaumart vor. Da sie vom Schalenwild gern angenommen wird, kann sie auch als Ablenkung für das Wild in Eichen- und Buchenjungbeständen verwendet werden. Von allen heimischen Baumarten hat nur der Speierling ein härteres Holz. Hainbuchenholz hat einen hohen Brennwert. Der Niederwald ähnelt dem Kahlschlagbetrieb, es gibt aber einige Unterschiede. Durch die viel kürzere Umtriebszeit kommt es häufiger zum Kahlschlag als im Hochwald. Es gibt im Niederwald aber keine Durchforstungen oder sonstige pflegliche Maßnahmen, da die Holzqualität bei der Brennholzerzeugung nicht von Bedeutung ist. Im Gegensatz zum klassischen Kahlschlag besteht auch nicht die Gefahr der Vergrasung oder Verkrautung, da die Verjüngung durch den Stockausschlag rasch einsetzt.

Durch das Wachstum am Stock haben die Triebe gegenüber der Konkurrenzvegetation auch einen leichten Höhenvorteil, ähnlich wie bei der Kadaververjüngung. Bei kurzen Umtriebszeiten unter zehn Jahren kann der permanente Entzug der Holzbiomasse zur Degradierung des Standortes führen. Etwa 40 % der gebundenen Nährstoffe befinden sich in Rinde und Holz. Auf nährstoffarmen Standorten muss daher bei kurzen Umtriebszeiten gedüngt werden. Der Niederwald mit Hainbuche produziert pro Jahr etwa 6 fm/ha, Linde und Pappel sind produktiver mit 10 fm/ha.

Der Niederwald hat nach und nach an Bedeutung verloren. Ein Grund dafür waren die lange Zeit sehr günstigen Heizölpreise, die Holz als Brennstoff unattraktiv werden ließen. Viele Niederwälder wurden in Hochwälder umgewandelt, indem die Umtriebszeit auf 80 bis 100 Jahre verlängert wurde. In Deutschland sind Niederwälder auf nicht mal einem Prozent der Waldfläche vertreten und spielen damit keine Rolle mehr. Im nördlichen Burgenland findet man heute noch größere Fläche an Niederwäldern. Neben den dünneren Stämmen, die leichter als Brennholz zu manipulieren sind, schätzen die Waldbesitzer auch, dass nach der Nutzung nicht aufgeforstet werden muss.